Immer wieder schweift mein Blick weg vom Bildschirm, hin zu den Bergen am Horizont, den vielen verschiedenen Bäumen und, ganz nah, zu den blühenden Lupinen und Margariten. Vögel zwitschern, auf der Wiese vor mir staksen Ibisse und Kibitze herum, ab und zu streicht ein sanfter Windhauch vorüber und ich spüre die Kraft der Sonne auf meiner Haut, die auch jetzt, nach 19 Uhr, noch hoch am Himmel steht.
Mit meinem Blick lasse ich auch meine Gedanken schweifen, zurück zu den vergangenen Tagen.
Wir haben uns Zeit gelassen in der letzten Woche, haben nicht viel Strecke gemacht und beim Zurückdenken sind es die Begegnungen mit ganz verschiedenen Menschen, die auftauchen und die mir wertvoll sind.
Die vier Tage, die wir bei einem deutschen Auswandererpaar zu Gast sein dürfen sind etwas ganz besonderes. Eigentlich kennen wir die beiden ja schon seit vielen Jahren, seit wir damals voller Begeisterung ihr Buch über ihre abenteuerliche Weltreise verschlungen haben. 16 Jahre lang waren sie mit ihren Motorrädern rund um die Welt unterwegs. Nun leben sie schon seit langer Zeit auf ihrem Campo in Argentinien. Ein großes, wunderschönes Stück Land, das sie über viele Jahre hinweg liebevoll und mit viel Hingabe und Einsatz aufgeforstet und gepflegt haben, bis vor 3 Jahren einer der schlimmsten Waldbrände in der Geschichte Argentiniens große Teile des Baumbestandes vernichtet hat. Die Spuren sind noch überall zu sehen, schwarz verkohlte Baumriesen liegen zusammengebrochen auf der Wiese, aschgraue Pappeln ragen wie abgebrannte Fackeln in den Himmel, in die bewaldeten Berghänge hat das Feuer Schneisen geschlagen. Und dennoch ist es wunderschön dort. Überall blüht und sprießt es, undurchdringlich dichte, rosa blühende Wildrosenhecken ziehen sich durch das Tal, sumpfiges Land ist von rot schimmernden Gräsern überzogen und mitten darin entspringt eine Heilquelle und speist einen kleinen Bach, der in den wilden, das Grundstück durchziehenden Gebirgsfluss mündet. Mit großer Offenheit und Herzlichkeit empfangen uns die beiden und wir dürfen den Bus direkt am Fluss neben der großen Feuerstelle parken. Die Tage vergehen mit Einladungen zu frisch gebackenem Kuchen und am Feuer Gegrilltem, Brettspiel mit den Jungs, Spaziergängen zur Heilquelle, Kirschen pflücken, Kätzchen zähmen, angeln, Schafwolle von den Rosenbüschen zupfen und vielen inspirierenden und spannenden Erzählungen von früheren und aktuellen Abenteuern.
Als wir abreisen haben wir selbstgebackenes Brot, viele gute Tipps und ein neues Exemplar ihres Buches im Gepäck, dieses Mal mit Widmung und Signatur und verknüpft mit vielen schönen Momenten der Begegnung.
In El Bolson fühle ich mich unmittelbar wohl. Früher ein Treffpunkt der Hippies, liegt noch immer alternatives Flair über dem kleinen Städtchen und es passt so gut ins Bild, dass direkt hinter uns am Straßenrand der kleine, alte, kunterbunt bemalte VW-Bus von Juliana und ihrem Freund zum Stehen kommt. Vor vielen Wochen haben wir sie in Gaiman an der Atlantikküste getroffen, jetzt fallen wir uns freudig überrascht hier in die Arme. Wir haben das gleiche Ziel heute: die Feria artesanal. Wir um zu schauen, Juliana und Yvan um ihre selbstgemachten Armbändchen, Ketten und Räucherstäbchen zu verkaufen und damit ihrem großen Traum eines größeren Reisemobils und einer Reise durch Europa ein bisschen näher zu kommen.
Die Feria artesanal zieht sich am zentralen Platz von El Bolson entlang, viele kleine Stände mit Selbstgemachtem reihen sich aneinander, Holzschnitzarbeiten, Gehäkeltes, handgemachte Seife, Panflöten, Traumfänger, gewebte, gestrickte und gebatikte Kleidung, dazwischen Buden mit Waffeln, patatas fritas, Bier aus einer der vielen kleinen Brauereien – alles in einer entspannten, freundlichen Stimmung. Ein Flötenverkäufer lädt zum Ausprobieren ein und spielt uns ein kleines Konzert, eine Frau am Spinnrad reicht Mattis ein Büschelchen allerfeinster weicher Alpakawolle und Hannes kann in aller Ruhe selbstgemachte Fliegen für die nächsten Angelversuche aussuchen.
Schließlich kaufen wir Armbändchen bei Juliana und verabschieden uns mit der Hoffnung, sie und Yvan weiter nördlich oder sogar irgendwann in Deutschland wiederzusehen.
Eine weitere Besonderheit von El Bolson ist die Feria franca, ein kleiner Markt, auf dem lokale Kleinbauern ihr Biogemüse anbieten. Der kleine Platz auf dem wir einen Stand mit knackfrischem Salat, Radieschen und Karotten finden, ist umgeben von niedrigen, bunt bemalten Häuschen mit verschiedenen Essensangeboten. Es dauert, bis wir alle uns entschieden haben, was wir essen wollen und auch das ist eine der Begegnungen, die mir ein Erinnerung bleibt: das freundlich-verständnisvoll-geduldige Lächeln der älteren Frau hinterm Tresen, die ohne das geringste Anzeichen von Ungeduld abwartet, bis wir schließlich alle gewählt haben.
Nach einer großen Portion leckerem Eis fahren wir weiter nach Bariloche – und bleiben nicht lange. Bariloche lockt mit seiner wunderschönen Lage direkt am See, umgeben von hohen Bergen, seinem im alpenländischen Stil erbauten Stadtzentrum und seinem Ruf als Hauptstadt der Schokoladenherstellung – und hat dennoch im Werben um Touristen und trotz aufwendiger Weihnachtsdekoration für unser Empfinden jeden Charme verloren. Wir besuchen das Museo patagonico mit seiner Ausstellung über die indigene Bevölkerung Argentiniens und eine Schokoladenfabrik und verlassen die Stadt dann rasch wieder.
Eine Nacht verbringen wir noch am Ufer des wunderschönen Rio Limay und nun sind wir hier, im Häuschen. Wir haben tatsächlich noch eines gefunden, haben uns eingemietet bis zum 27. Dezember, in der Nähe von Villa la Angostura, nur ein paar hundert Meter entfernt vom Lago Nahuel Huapi. Hier sitze ich auf der großen Terrasse und schreibe und hier werden wir also Weihnachten feiern – ganz anders als sonst und dennoch schön und festlich. Gemeinsam haben wir überlegt, wie wir die Tage verbringen wollen. Picknick am See, schwimmen, Plätzchen backen, ein typisch argentinisches Asado im großen Grill, eine Wanderung, ein Chill-Tag mit Filmabend – all das ist möglich.
Und nun werde ich diesen Text freigeben, in die Welt schicken ohne zu wissen, wer ihn lesen wird. Eine Art Angebot zur Begegnung über große Distanz hinweg. Das Wissen, dass ihr meine Worte lest, jede Reaktion auf unsere Texte, jeder Kommentar ist für mich Teil der Verbundenheit mit euch – und dafür möchte ich euch danken. Danke, dass ihr uns auf unserer Reise begleitet, es ist gut zu wissen, dass ihr da seid.
Euch allen mit euren Familien und Freunden wünschen wir frohe und friedvolle Weihnachtstage, habt es gut miteinander!
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