Es hat gedauert, bis wir diese Texte online stellen konnten – und es passt perfekt zum Inhalt. Wir wollten Abenteuer – wir bekamen Herausforderungen.
Aber beginnen wir mit dem überraschend unkomplizierten Start unserer Argentinienerlebnisse: mit dem Grenzübertritt am großen Staudamm und Wasserkraftwerk von Salto. Dort gilt es, nacheinander verschiedene Stationen zu durchlaufen: zuerst die Passkontrolle in einem langgestreckten Gebäude neben dem Grenzübergang – Pässe und Fahrzeugschein vorzeigen, zu fünft freundlich lächeln, das wars. Keine Stempel,”todo está en el sistema”, nur ein Zettel, mit dem wir mit dem Bus bis zum Grenzhäuschen fahren dürfen. Dort steht ein freundlicher Beamter der Veterinär- und Lebensmittelbehörde, der darauf besteht, dass das Gesundheitszeugnis von Joschi, dass uns der Bamberger Amtstierarzt auf dem Vordruck für die Einreise nach Uruguay (!) ausgestellt hat, genau das richtige und in Ordnung ist. Als er einen kurzen Blick in den Bus wirft, heftig von Joschi angebellt wird und in drei freundliche Jungsgesichter und ein bisschen Chaos blickt, verzichtet er netterweise darauf zu überprüfen, wo wir die restliche Salami versteckt haben und welche unerlaubten Lebensmittel wir gerade sonst noch nach Argentinien einführen. Wieder fahren wir ein paar Meter weiter und werden von einem argentinischen Zollbeamten gebeten, mit den Autopapieren zur Einfuhrkontrolle zu gehen. Das erledigt Jan und bekommt nun doch noch, nach einer kleinen Odyssee durch verschiedene Büros, einen Ausfuhrstempel für den Bus. Weitere Papiere will niemand sehen und so sind wir nach knapp einer Stunde und völlig unkompliziert in Argentinien. Wie schön!
Soweit der einfache Teil. Die Herausforderungen beginnen in den Tagen danach.
Argentinien ist anders als Uruguay und alles braucht mehr Zeit – das merken wir schnell.
Chipkarten fürs Handy sind Mangelware. Wir brauchen mehrere Anläufe in verschiedenen Orten, bis wir in einem winzigen, heruntergekommen aussehenden Kiosk einen Chip bekommen. (Das schöne daran: die Besitzerin backt im Hinterzimmer unglaublich leckere süße Anishörnchen, die sie uns gleich mitverkauft.) Dann lernen wir, dass zwischen 12, spätestens 13 und 17 Uhr alle Läden geschlossen haben. Wir müssen uns also beeilen, um am nächsten Tag rechtzeitig im nächsten Ort zu sein, in dem wir die Karte freischalten lassen können. Gerade noch rechtzeitig erreichen wir den Claro-Laden. Geschafft, wir haben wieder Internet!
Auch einzukaufen braucht mehr Zeit. Zum einen müssen wir die Öffnungszeiten im Blick behalten, zum anderen merken wir, dass das Angebot oft nicht so umfassend ist wie in Uruguay, sodass wir 3 oder 4 Läden ansteuern müssen, bis wir alles beisammen haben. Das Leben hier ist für uns viel günstiger, die Inflation schreitet voran und die riesigen Geldbündel (die größte Note 1000 arg. Pesos = 1,40 Euro), die wir im Bus verteilt haben, faszinieren die Jungs.
Argentinien ist auch größer. Größer und weiter und die Hauptverkehrsstraßen erstrecken sich einfach immer geradeaus bis zum Horizont. Abweichungen von schnurgerade sind so selten, dass selbst sanfte Biegungen mit mehreren Schildern im Voraus angekündigt werden. Weite und Distanz haben hier andere, für uns bisher unbekannte Dimensionen.
Wir fahren nach Norden, wir wollen zu den Iguazu Wasserfällen, 900km durch verschiedenste Vegetationszonen liegen vor uns. Schon vor und auch noch weit nach der Grenze säumen Orangenhaine die Straßen, endlos erstrecken sich die zugleich blühenden und Früchte tragenden Bäume und erfüllen die Luft mit ihrem süßen Duft. Wie schön, Orangen direkt vom Baum pflücken und so frisch wie nie zuvor essen zu können!
An die Orangenplantagen schließen sich Rinderweiden an. Auch hier scheinen die uruguayischen Weiden, die uns so groß vorkamen, plötzlich begrenzt. Die Weiden hier reichen bis zum Horizont, die großen Rinderherden verteilen sich weitläufig und wirken fast ein bisschen verloren auf den riesigen Grasflächen.
Noch weiter nördlich kommen wir durch Feuchtgebiete, auch scheint es viel geregnet zu haben, rechts und links der Straße sind großflächige Überschwemmungen, teilweise stehen die Kühe bis zum Bauch im Wasser. Regen und Wind, mit denen Argentinien uns empfangen hat, hören auf. Es wird schwüler, wärmer und die Vegetation tropischer. Nach den Feuchtgebieten folgen Anbaugebiete des Matetees. Weite Felder mit den glänzend dunkelgrünen Sträuchern ziehen sich rechts und links der Straße entlang und immer wieder sehen wir Lastwagen mit hochaufgetürmten Säcken voller Teeblätter auf den Ladeflächen.
Dann wird es zunehmend wilder und üppiger. Palmen und viele andere, hohe, von Kakteen und Kletterpflanzen umrankte Bäume säumen die Straße, Blüten in rot, rosa, blau, violett und leuchtendem Gelb schmücken Sträucher, Bäume und Büsche. Es tauchen Warnschilder auf, Nasenbären und Tapire könnten die Straße kreuzen, sogar vor Jaguaren wird gewarnt und bei Zwischenstopps sehen wir handtellergroße Schmetterlinge in den schönsten Farben.
Wir wollen vorwärts kommen und nehmen uns vor, nach einer Nacht neben einem Fußballplatz am Ortsrand von Santo Tome früh loszufahren. Das gelingt – zumindest bis zur nächsten Tankstelle. Dort bemerken wir, dass die Befestigungsschrauben eines Schranks sich durch das Gerüttel auf den Pisten abseits der großen Straße gelöst haben und ausgetauscht werden müssen. Auf der Suche nach tauglicheren Schrauben entdeckt Jan, dass im Unterbodenraum des Busses Wasser steht. Wo es herkommt? Keine Ahnung und auch schwer herauszufinden. Also räumen wir den “Keller” aus und versuchen, mit dem Gebläse der Heizung das schon aufgeweichte Holz nach und nach zu trocknen und nehmen uns vor, die Herkunft des Wassers bei einem nächsten Stopp genauer zu untersuchen.
Dazu kommt noch, dass unsere Strombox sich nicht mehr auflädt – warum? Auch da sind wir zunächst ratlos…
Zudem wird es heißer und heißer, weit über 35°, keine Klimaanlage und noch keine Ventilatoren machen die Fahrten schweißtreibend und anstrengend. Auch für Joschi, der nach jedem Stopp nur sehr widerwillig wieder in den Bus einsteigt…
Zudem tauchen erstmalig während unserer Reise Moskitos in großer Zahl auf – und unser Moskitonetz vor der Türe scheint noch nicht optimal zu sein. Abends lüften und Moskitos im Bus in Kauf nehmen oder weiter die Hitze aushalten? Diese Frage wird je nach Hitze- bzw. Moskitotoleranz unterschiedlich beantwortet. Eine weitere Herausforderung…
Das erste Mal wird es wirklich anstrengend und nervenzehrend – die anstehenden Reparaturen, die Hitze, die weite Strecke, die Moskitos.
Wir suchen nach Möglichkeiten, anders damit umzugehen, uns den Verhältnissen anzupassen, hinzunehmen, was nicht zu ändern ist und das, was wir ändern können, mit Ruhe und Zeit anzugehen. Dazu ist es notwendig, trotz Ärgers und Frust und Gereiztheit immer wieder miteinander zu sprechen, aufeinander zuzugehen, zu versuchen zu verstehen. Hier führt kein Weg daran vorbei – sich aus dem Weg zu gehen ist nur sehr kurzfristig möglich.
Wir beginnen, unser Tempo insgesamt zu überdenken – wie schnell wollen wir wo sein? Geht es darum, irgendwo anzukommen oder darum, unterwegs zu sein? Kann sich das von Tag zu Tag ändern? Und wie finden wir heraus, wo gerade die Priorität liegt und welcher Weg für jeden von uns gut und gangbar ist?
Inzwischen sind wir auf einem Campingplatz ganz in der Nähe der Wasserfälle. Wir haben uns Zeit gelassen, gestern auf einem Campingplatz mit Pool und Duschen gestoppt – eine dringend notwendige Erfrischung für uns alle. Der Unterboden war zwischenzeitlich weitgehend trocken, gelöst haben wir das Problem aber noch nicht, die Strombox lädt wieder – scheinbar lag es am Kabel-, wir haben zwei kleine Ventilatoren besorgt und die Moskitos verschrecken wir mit Spray und planen Verbesserungen der Netzbefestigung.
Wir werden noch reichlich Gelegenheiten haben, uns in Gelassenheit und Zuversicht zu üben – wir haben schon mal damit angefangen und jedes Mal, wenn sich die Stimmung nach einem Tief wieder aufhellt, freue ich mich und denke, dass wir ja auch genau deswegen auf Reisen sind.
Morgen werden wir die Wasserfälle bestaunen – wir werden euch teilhaben lassen, vielleicht mit ein bisschen Verspätung, dann, wenn es hier passt. Und irgendwann kommt dann auch noch der eigentlich für jetzt geplante Text über unser ganz alltägliches und konkretes Leben im Bus, um den ich immer wieder gebeten wurde. Der richtige Zeitpunkt wird kommen. Ganz bestimmt.
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