Jetzt sind wir da: angekommen an der Küste, in der kolumbianischen Karibik, ganz im Norden von Südamerika. Es ist schon dunkel als wir nach einem langen heißen Fahrtag auf den Sand rollen und den Motor abstellen – und uns in einem Bild wie aus einem Urlaubsprospekt wiederfinden. Wir öffnen die Türen und spüren einen leichten Windhauch, hören das Rascheln der Palmblätter über uns und das sanfte Plätschern der Wellen. Krebse bewegen sich schattenhaft über den warmen Sand, beäugen uns kurz und verschwinden dann seitwärtslaufend blitzschnell in ihren Höhlen und Gängen. Nur wenige Schritte sind es bis zum Meer und wir können weit hinausgehen, ohne dass es tief wird. Die karibische See ist ruhig und warm, ganz anders als der raue Atlantik oder der wilde Pazifik. Wir sind angekommen. Hier und am nördlichsten Punkt unserer Reise. Das wird uns erst in diesem Moment so richtig bewusst.
Wir stehen im warmen Wasser, schauen in die Dunkelheit, sehen das Glitzern des Mondes auf den kleinen Wellen – und dann beginnt es zu regnen, ein warmer, tropisch-heftiger Regenguss.
Egal, wir sind am Meer unter Palmen – mitten in einem karibischen Traum und alles, was erfrischt ist willkommen. Als der Regen aufgehört hat, baut Mattis unter den tropfenden Palmblättern noch bis tief in die Nacht hinein Burganlagen im warmen, nassen Sand.
Drei Tage bleiben wir hier, Tage voller Sonne und Licht– wir tanken auf, sammeln Wärme und Sonnenstrahlen für die novembrigen Tage, von denen wir – mitten im Juni – von zuhause hören. Prune und David gesellen sich mit ihrer Familie zu uns, die Kinder kochen miteinander, bauen ein Floß aus Treibgut, dösen in den Hängematten und spielen stundenlang im warmen Meer. Am Wochenende baut der Betreiber des kleinen Strandrestaurants frühmorgens Tische und Sonnenschirme unter den Palmen auf und hämmert Sonnensegel in den Sand – er hofft wohl auf viele Gäste, doch außer einem Reisebus voller Tagestouristen, Hut-, Perlenschmuck-, Eis- und Korbverkäufern bleibt es ruhig am Palmenstrand.
Schließlich gehen unsere Wasser- und Lebensmittelvorräte zur Neige, wir sind klebrig von Salzwasser und Sonnencreme und so ziehen wir weiter. Ein Stück weiter entlang der Küste nach Osten, in Richtung Rincon del Mar, dem „Winkel des Meeres“.
Ein paar Kilometer außerhalb des kleinen Fischerortes soll es einen Campingplatz geben – doch als wir dort ankommen, wirkt er auf uns so gar nicht einladend und so machen wir im schmalen Schatten der Bäume am Straßenrand nur eine Mittagspause, finden uns mit einem weiteren Tag ohne Dusche ab und fahren direkt nach Rincon del Mar hinein, vielleicht findet sich dort ja ein guter Stellplatz für die Nacht.
Rincon del Mar war bis vor einigen Jahren noch ein weitgehend unbekanntes Fischerdorf – bis sich die ersten Touristen hierher verirrten und von der Authentizität und dem Charme des Ortes begeistert weitererzählten. Es ist nicht zu übersehen, dass der kleine Ort bei Reisenden inzwischen bekannt und beliebt ist – doch trotz der Hostels, Strandbars und Restaurants hat er sich etwas von seinem Charme bewahrt. Es gibt nur eine einzige schmale Straße, zu beiden Seiten gesäumt von kleinen, oft bunt bemalten Häusern, dahinter auf der einen Seite sumpfige Mangrovenwälder, auf der anderen endloser feiner Sandstrand und kristallklares Meer.
Wir passen mit unserem Bus gerade so zwischen den Häusern und unter den tiefhängenden Stromkabeln hindurch und werden, kaum haben wir das Ende der Straße erreicht, auch schon angesprochen. Wir sollen uns an Manuel wenden, er könne alles für uns arrangieren. Wir sind nämlich aus einem bestimmten Grund hier – wir wollen das Meeresleuchten sehen. Wollen in der Dunkelheit hinaus auf die karibische See fahren und mitten hinein in das fluoreszierende Plankton.
Manuel organisiert unseren Bootsausflug noch für denselben Abend und zeigt uns einen Stellplatz für die Nacht gleich hinter der Strandbar.
Die Musik, die aus acht großen Boxen von dort zu uns herüberschallt, ist ohrenbetäubend, doch spätestens gegen 21 Uhr werde sie enden, verspricht er uns.
Mit Schwimmwesten ausgestattet besteigen wir mit dem widerstrebenden Joschi ein Motorboot, und fahren hinaus aufs offene Meer. Noch ist es hell und so steuert unser Bootsführer zuerst eine kleine baumbewachsene Insel an, die über und über von unzähligen dort brütenden Vögeln bevölkert ist. Fregattvögeln ziehen ihre Kreise über uns, Pelikane und Kormorane fliegen in langen Reihen vorüber, Schwärme von Ibissen lassen sich kreischend auf ihren Nestern nieder. Es ist ein fantastisches Schauspiel vor dem sich langsam abendrot verfärbenden Himmel und der untergehenden Sonne.
Bevor es ganz dunkel wird, fahren wir weiter, vorbei an einer kleinen bilderbuchschönen palmengesäumten Insel und durch die Mangroven hindurch in eine geschützte Bucht.
Hier halten wir an und als wir unsere Hände ins Wasser tauchen und es ein wenig in Bewegung versetzen beginnt der Zauber. Rings um unsere Hände beginnt es zartblau zu leuchten. Es ist, als hätten wir Schleier aus Licht an unseren Fingern, die bei jeder unserer Bewegungen leuchtend durchs Wasser gleiten.
Wir springen ins warme Wasser und nun scheint es, als wären wir ganz und gar von leuchtenden Schleiern umgeben, die jede unserer Bewegungen begleiten. Es ist einzigartig schön und immer wieder muss ich an Jim Knopf und Sursulapitschi denken und an ihren verzweifelten Wunsch, das erloschene Meeresleuchten wieder zu aktivieren. Ich kann sie gut verstehen. (Und natürlich gibt es eine ganz und gar naturwissenschaftliche Erklärung dafür – ich überlasse es euch, sie nachzulesen, wenn es euch interessiert…)
Glücklich und hungrig kommen wir schließlich zurück ans Ufer und zu unserem Bus. Die Musik schallt weiter, aber noch ist es ja nicht 21 Uhr…
In einem der kleinen Restaurants finden wir etwas zu essen, schlendern noch eine Weile durch die Straße, schauen den Kindern beim Murmelspielen und den Hunden beim Dösen zu und genießen die gemächlich-entspannte Atmosphäre. Doch es wird spät, wir sind müde vom langen Tag und der Hitze, sehnen uns nach Ruhe – die Musikboxen jedoch geben weiterhin alles. Als gegen 23 Uhr manch einer von uns kaum noch die Augen offenhalten kann, die Boxen aber weiter wummern und unsere Suche nach einem anderen Stellplatz im Städtchen erfolglos war, beschließen wir Rincon del Mar zu verlassen. Ohne Idee wohin.
Ein paar Kilometer weiter entdecken wir einen Friedhof am Straßenrand, gegenüber eine Piste die zu einer kleinen Ansammlung von Häusern führt.
Wir biegen ab, parken und gehen ein paar Schritte in Richtung des Dorfes. Wir werden schon erwartet, ein Mann tritt aus dem Schatten seines Hauses, grüßt zurückhaltend und mustert uns mit misstrauischen Blicken. Ein wenig freundlicher wird er, als ich ihm sage, dass wir mit Kindern reisen und einen ruhigen Platz zum Schlafen brauchen. Er willigt ein, ja, hier können wir stehen bleiben und die wenigen verbleibenden Stunden der Nacht verbringen.
Am nächsten Morgen spielen neugierige Kinder Fußball vorm Bus und wir erfahren vom vermeintlich pünktlichen Schiff. Aber diese Geschichte kennt ihr ja schon.
Springen wir also ein Stück weiter, springen wir nach Cartagena, in die Stadt, in der wir schließlich 11 Tage verbringen werden.
Cartagena ist eine Stadt der Gegensätze. Umgeben und gut geschützt von der 13km langen dicken Stadtmauer, liegt das Epizentrum des Tourismus, liegen die Stadtviertel San Diego und Getsemani. San Diego ist der Inbegriff der filmreif prachtvoll erhaltenen Kolonialstadt. Ein Gewirr schmaler Kopfsteinpflastergassen, gesäumt von makellos renovierten weißen Häusern mit überhohen, bronzeverzierten Holztoren und blumenüberwucherten Holzbalkonen, unzählige hochgelobte Restaurants und Cafés, teure Boutiquen, schicke Hotels, trubelige Plätze unter ausladenden Bäumen im Schatten ehrwürdiger Kirchen, bevölkert von Touristinnen in ihren gewagtesten Sommerkleidern, Getränkeverkäuferinnen und Straßenrappern. Es ist ein Genuss, hier hindurchzuflanieren, in die Atmosphäre einzutauchen und die vielfältigen Eindrücke aufzusaugen. Und zugleich hat es etwas Artifizielles, fühlt es sich tatsächlich ein wenig wie in einer Filmkulisse an. Nur noch wenige Menschen leben hier wirklich und nur jeder Fünfte von ihnen hat noch Nachbarn – die übrige Nachbarschaft wurde herausgekauft von reichen Investoren und ersetzt durch teure Läden und Hotels.
Ein wenig anders zeigt sich uns Getsemani. Hier sind die Häuser kleiner und bunter und die Balkone weniger prachtvoll. Dies war das Handwerkerviertel der Stadt. Auch hier streifen täglich viele Touristen durch die kleinen Gassen, doch es finden sich noch Spuren alltäglichen Lebens. Männer, die auf der Straße Domino spielen, kleine, unprätentiöse Lebensmittelläden an den Straßenecken, Werkstätten, Häuser, die ein Zuhause und kein Hotel oder Hostel sind. Wir schlendern durch das Gewirr der kleinen Straßen, bewundern die leuchtenden Gemälde der open air Galerien, freuen uns an den unterschiedlich geschmückten Straßenzügen, den kleinen, alternativen Cafés und – ich ganz besonders – an den vielen unwiderstehlichen Fotomotiven… Die zentrale Plaza de la Trinidad ist ein wunderbarer Platz zum Verweilen und Beobachten. Traditionell gekleidete Afrokolumbianerinnen stehen für Fotos bereit und Touristinnen in leuchtendbunten Kleidern posieren hingebungsvoll mit ihnen vor der ockerfarbenen Kulisse der Kirche. Abends versammeln sich hier die Straßenmusiker und Kleinkünstler, besonders erfolgreich soll Shakiro, eine männliche Version der ganz in der Nähe geborenen Shakira sein…
Mehrere Mal durchstreifen wir die Altstadt, lassen uns von Angel die Geschichte der Stadt erzählen, freuen uns über das Faultier und ein paar Äffchen im kleinen Park, essen traditionell kolumbianisch zu Mittag mit Prune, David und den Kindern, ein Eis mit der holländischen Familie und erfrischen uns sehr viele Male mit Limonada natural, der köstlichen, eiskalten Limettenlimonade.
Ganz egal, ob wir frühmorgens durch Getsemani streifen oder am Nachmittag durch San Diego schlendern, lebhaft, bunt und voll guter Stimmung ist die Altstadt immer. Eine neue Dimension erreicht die Stimmung jedoch, wenn Kolumbien Fußball spielt, erfolgreich Fußball spielt. Es ist, parallel zur EM, Copa America und zufällig sind Mattis und ich in der Altstadt unterwegs, als Kolumbien gegen Costa Rica antritt. Kaum noch ein Mensch schlendert jetzt durch die Gassen, die Straßenhändler lassen ihre Karren und Stände im Stich, die Kutscher parken ihre Kutschen strategisch günstig quer vor einer Bar mit Bildschirm, alle versammeln sich in dichten Trauben vor den Fernsehern in Buden, Läden und Restaurants. Es ist nicht schwierig, den Spielstand mitzuverfolgen – dreimal hallt Hupen, Tröten und begeisterter Jubel durch die Straßen, mit drei Toren schießt sich Kolumbien in der Gruppenphase auf Platz eins vor Brasilien.
Jenseits der Stadtmauer, von überall gut zu sehen, zeigt sich das moderne Cartagena. Auf der ins Meer hineinragenden Landzunge reihen sich die Hochhäuser aneinander, moderne Wohn- und Urlaubsdomizile aus Stahl, Glas und Beton mit Meerblick und roof top Pool. Eine, so heißt es, saubere, sichere und unkomplizierte Gegend. Südlich der Stadtmauern sieht es ganz anders aus, hier spielt sich das Leben der weniger wohlhabenden Bevölkerung ab, hier ist es laut und chaotisch. Hierher führt uns Fabio, bei dem wir eine besondere Stadtführung gebucht haben. Er will uns die vielfältigen kulinarischen Seiten Cartagenas zeigen, jenseits der Touristen- und Edelrestaurants. Und so führt er uns zunächst auf den Mercado de Bazurto. Entlang einer lauten, mehrspurigen Straße reihen sich zahllose Stände mit Obst und Gemüse, Modeschmuck und Plastikspielzeug aneinander, dazwischen sitzen die Make up Artistinnen für die schnelle Aufhübschung zwischendurch und die Schreiber mit ihren Schreibmaschinen für schriftliche Aufträge jeder Art. Dahinter steht die eigentliche Markthalle, geduckt unter ein niedriges Blechdach, nach außen hin offen. Wir folgen Fabio durch einen der vielen Eingänge in ein Gewirr von Gängen, vorbei an Ständen mit Drogerieartikeln, Handyhüllen und Tausenden von Perlen durch die Straße der gefälschten Markenschuhe, weiter vorbei an Grills voll glühender Holzkohlen und rußgeschwärzten Wänden bis zu den Frauen hinter den riesigen Töpfen überm offenen Feuer. Hier gibt es alles, was das Meer zu bieten hat. Schildkröteneintopf und Hairagout, Meeresfrüchtereis und riesige Garnelen, Fische in allen Formen und Größen und einiges, was für uns nicht zu identifizieren ist… Hannes hat Lust auf Experimente, probiert von fast allem und genießt es. Es schmeckt ihm, selbst die knallrosa Banane, die es als Beilage gibt, ist lecker. Und er hat wohl recht, wenn er sagt, dass wir hier ohne Fabio eher nicht gegessen hätten. Vermutlich hätten wir uns schon auf dem Weg hierher im Labyrinth der Gänge verlaufen…
Nach heute 9 Tagen in Cartagena freuen wir uns darauf, die Stadt in zwei Tagen wieder zu verlassen. Wir fühlen uns wohl hier, Cartagena ist freundlich und unkompliziert, und auch die Ruhe, das Lesen, Schreiben, Filme schauen in der Wohnung haben uns gutgetan. Doch es ist heiß – die durchschnittliche Jahrestemperatur liegt bei unglaublichen 30°C (zum Vergleich: in Bamberg 9,8°C) bei nahezu 100% Luftfeuchtigkeit – und wir sehnen uns nach kühleren Temperaturen, weniger touristisch überlaufenen Gegenden und neuen Eindrücken. Es ist Zeit für den Abschied von der karibischen Küste – Sonne, Licht und Wärme für kalte Novembertage haben wir reichlich im Gepäck.
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