Es ist halb sieben Uhr morgens und es war eine unruhige Nacht. es stürmt und regnet, der Bus wackelt und die Plane unseres Dachzeltes flattert laut bei jeder neuen Böe. Ich bin froh über unser “Notbett” aus Tisch und Sitzbänken, auf dem ich heute Nacht weniger dicht an Wind und Regen schlafen konnte.
Jetzt sitze ich mit der dampfenden Kaffeetasse am Fenster und beobachte, wie aus den verschiedenen Grautönen hinter den Regentropfen langsam Sand, Dünen und Gesträuch werden.
Sehen kann ich den Atlantik nicht, aber ich höre sein Rauschen und kann mir die gewaltige Brandung hinter den Dünen vorstellen.
In den letzten Tagen haben wir ganz unterschiedliche Landschaften Uruguays kennengelernt.
Nach unserem Abschied vom Paraiso Suizo fahren wir zunächst ein Stück ins Landesinnere und sind erstaunt, wie hügelig dieses Land ist, dessen höchste Erhebung, der Cerro Catedral nur 513 m misst.
Und überall tummeln sich die präsentesten der hiesigen Bewohner: die Kühe, Schafe und Pferde. 3,4 Millionen Uruguayos und über 12 Millionen Rinder leben in diesem Land, dessen Fläche ungefähr der Hälfte Deutschlands entspricht. Rinder in allen Farbschattierungen, die sich über die endlos erscheinenden Weiden verteilen, manchmal aber auch direkt an oder auf der Straße stehen. Und weil hier der Frühling gerade begonnen hat, sehen wir auch immer wieder kleine Gruppen von Kälbchen und Lämmchen mit ihren Müttern.
Wir finden einen Stellplatz am Rand einer Lehmpiste zwischen den Wiesen und verbringen dort eine bis auf einige rätselhaften Tierlaute (Wasserschwein? Wildkatze?) ruhige Nacht.
Am nächsten Morgen dürfen wir einige Momente Gauchokultur miterleben. Wir beobachten, wie zuerst die freilaufenden Pferde mit Motorrädern abgeholt werden und dann zwei Gauchos mit Hilfe ihrer Hunde in kürzester Zeit die weitverteilten Rinder zusammen und zur nahegelegenen Ranch treiben. Es ist faszinierend zu sehen, wie sich die vereinzelt grasenden Rinder zu einer Herde zusammenfinden und, von den Gauchos gelenkt, wie ein Strom über die Weide ziehen.
Wir fahren zurück Richtung Küste, wollen auf den Ramblas, der Küstenstraße weiter nach Norden und uns zumindest im Vorbeifahren anschauen, wo sich im Sommer die Reichen und Schönen von hier bis Hollywood versammeln. Der Kontrast zum Landesinneren ist groß.
Punta del este ist das Zentrum des luxuriösen Sommervergnügens und schon kilometerweit vorher reiht sich Hochhaus an Hochhaus. Alle mit Blick über die Straße und die Dünen, alle mit verglasten Balkonen und teilweise spektakulären Dachterrassen für den unverstellten Blick aufs Meer. Auf der anderen Seite der Straße erstrecken sich ebenso kilometerlang Parkplätze. Jetzt sind sie weitestgehend leer, nur die kleinen Autos der Arbeiter und Handwerker, die die Sommerresidenzen für die nächste Saison erweitern und renovieren parken dort.
Auch die endlosen, wunderschön feinsandigen Strände sind bis auf wenige Hundespaziergänger und eine Handvoll Wellenreiter sich selbst überlassen, die Clubs, Bars und Strandrestaurants verriegelt, die Terrassen halb unter herangewehtem Sand begraben. Hasta el proximo verano!
Es hat etwas geisterhaftes, all diese Pracht so verlassen zu sehen. Wenn wir uns vorstellen, wie bevölkert und trubelig es hier im Sommer ist, wenn die unzähligen Wohnung bezogen und die tausende von Parkplätzen belegt sind, dann sind wir froh, genau jetzt hier zu sein.
So stehen auch nur wir fünf mit Joschi am östlichsten Punk Uruguays und genießen den Blick über die sich an den schwarzen Felsen brechenden Wellen.
Weiter im Norden, nachdem wir auch den Yachthafen und die sich aneinanderreihenden Villen hinter uns gelassen haben, werden die Häuschen wieder kleiner, die Besiedelung weniger dicht und statt der Parkplätze schieben sich die Dünen bis an die Straße heran.
Unseren nächsten Stellplatz finden wir am Ende einer kleinen Straße direkt hinter einer Düne. windgeschützt und trotzdem nur 50m vom Meer entfernt. Genau richtig, um zu jeder Tageszeit Wind, Wellen, Brandung, Sand und Sonne zu genießen.
Es ist eine der Besonderheiten Uruguays, dass hier die von der Antarktis zur Geburt ihrer Jungen Richtung Norden ziehenden südlichen Glattwale und Buckelwale so ufernah vorbeischwimmen, dass man sie vom Strand aus beobachtet kann. Seit ich vor Monaten davon gelesen hatte, habe ich den Wunsch, diese beeindruckenden Tiere zu sehen. Wir sind glücklicherweise zur richtigen Jahreszeit hier und – wir haben tatsächlich Glück!
Es ist ein überwältigendes Gefühl, vom Strand aus die Blas der Wale und immer wieder eine Fluke aus den Wellen winken zu sehen. Tatsächlich ein, wie eine liebe Freundin geschrieben hat, “Ehrfurchtsmoment”.
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