Es ist nur eine Brücke die wir überqueren, weder besonders breit noch spektakulär. Einfach eine Brücke über den Fluss zwischen La Quiacha und Villazon. Und doch sind wir von einer Sekunde auf die andere in einer anderen Welt.
Es ist eng, es ist voll, es ist laut und alles scheint uns chaotisch. Wieviele Fahrspuren gibt es hier eigentlich? Welche Ampel gilt für wen und was bedeutet die, die rot und grün zugleich anzeigt? Wer hat Vorfahrt wenn es keine Ampel gibt? Wie sehen hier die Einbahnstraßenschilder aus und wo dürfen wir parken?
Unsere Sinne sind in Sekundenbruchteilen geschärft, trotz der langen heißen Wartezeit an der Grenze sind wir schlagartig hellwach und aufmerksam – und so gefordert, dass nicht einmal Zeit bleibt Fotos zu machen.
Um uns herum wuselt der Verkehr, es wird gehupt und überholt, unzählige dreirädrige Mofataxis schlängeln sich durch die Straßen, dicht an dicht ducken sich kleine Läden hinter großen bunten Schildern am Straßenrand, Menschen drängen sich auf den schmalen Bordsteinen, manche eiligen Schrittes, zielstrebig und ungeduldig, andere geruhsam schlendernd und schauend, wieder andere sitzen mitten darin, ein paar Waren zum Verkauf vor sich ausgebreitet.
Es wird schon Abend, als wir Villazon verlassen, nach verschiedenen Stops um eine Handykarte, ein wenig Obst, Brot und Gemüse und ausreichend Bolivianos für die ersten Tage reicher.
Einige Kilometer weiter finden wir einen Stellplatz inmitten einer Hochebene, umgeben von meterhohen Kakteen und nur mit ein paar Kühen als Gesellschaft.
Da sind wir nun also. In Bolivien. Angekommen.
Es war ein langer Tag, wir sind müde und erschöpft, voller Eindrücke und voller Ungewissheit. Die Stimmung im Bus ist unausgeglichen und unbeständig wie das Wetter, das über uns dahinzieht. Der Himmel verdunkelt sich, dicke graue Wolken und undurchdringliche Regenschleier löschen den Horizont aus, schwefelgelb leuchten die Berge dazwischen, ziehen die Blitze über den Himmel und dann – kurz vor Ende des Tages – spannt sich ein in den leuchtendsten Farben strahlender, vollkommener Regenbogen über den Bus. Willkommen in Bolivien!
Die folgenden Tage machen wir Strecke auf einer Höhe von fast durchgehend über 3000 m. Die Landschaft wechselt zwischen Bergen, kaktusüberzogen und trocken, und tiefgrün bewachsenen steilen Hängen, dazwischen immer wieder ein paar Äcker, ein kleines Dorf. Auf den Straßen begegnen uns kaum noch Privatautos. Stattdessen sind viele, meist vollbesetzte, mehr oder weniger alte, herausgeputzte, fast auseinanderfallende und leuchtend bemalte Kleinbusse und Sammeltaxis unterwegs. Zahllose halbverfallene Lehmhäuschen stehen am Straßenrand, daneben halb neu erbaute, ärmliche Unterkünfte, oft mit Planen und Wellblech notdürftig abgedichtet, ab und zu ein Schwein, ein Esel, ein paar Hühner. Die kleinen Häuser der Orte durch die wir kommen, säumen den Straßenrand. Manchmal gibt es einen kleinen Laden, davor ein großer Korb mit Fladenbroten, im Inneren dicht gestapelt eine bunte Mischung aus Lebensmitteln und Haushaltswaren. Nudeln, Mehl und Bohnen in großen Säcken, ein paar Kartons mit Gemüse und Obst, Softdrinks in großen Flaschen und Brühpulver in kleinen Tütchen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein paar alte Frauen, traditionell gekleidet mit schwarzem Hut auf den langen, geflochtenen Zöpfen, einem leuchtend bunten Umschlagtuch und dem typischen, halblangen Rock mit dicken Kniestrümpfen darunter, vor sich auf dem Boden kleine Hügel aus Kaktusfrüchten, Trauben oder Zitronen, im Dorf gesammelt und gepflückt, die sie zum Verkauf anbieten. Auf den kleinen Äckern sehen wir Erwachsene und Kinder, die gemeinsam und nur selten mit Hilfe eines Ochsen oder Pferdes dort arbeiten.
Wir fühlen uns fremd hier, viel fremder als bisher auf unserer Reise, kommen uns manchmal fast wie Eindringlinge vor, wenn wir in einem der kleinen Orte anhalten, um Brot oder Obst zu kaufen. Wir können nicht einmal ahnen, wie die Menschen hier leben, finden keine Anknüpfungspunkte, spüren ihre skeptischen, manchmal vielleicht auch abweisenden Blicke. Wir sehen die Armut, die für mehr als die Hälfte der bolivianischen Bevölkerung Lebensrealität ist. Den Müll, der überall herumliegt, die Kinder, die in den Dörfern in der staubigen Erde am Straßenrand oder mit einem der vielen streunenden Hunde spielen, die in den Städten auf den Bürgersteigen sitzen, manchmal mit einer kleinen, in den Boden geritzten Zeichnung vor sich, auf ein paar Bolivianos hoffend oder die gemeinsam mit ihren Müttern auf der Plaza versuchen, mit dem Verkauf von Taubenfutter, Armbändchen oder in kleine Tüten abgefüllten Säften, ein wenig Geld zu verdienen.
Auch wenn besonders unsere blonden, langhaarigen Jungs viele Blicke auf sich ziehen, fällt es uns viel schwerer als bisher, in Kontakt zu kommen, und sei es nur durch ein Lächeln oder eine Frage nach dem Woher und Wohin. All das macht uns unsicher, angespannt und befangen.
Wir suchen unbewusst und unwillkürlich nach irgendeiner Art der Gemeinsamkeit, nach etwas Bekanntem, Verbindendem, um ein Gefühl der Sicherheit im Vertrauten zu finden. Doch das fällt uns hier schwer.
Was bleibt, wenn es nicht gelingt, etwas Gemeinsames, Verbindendes zu finden, weil die Lebenswirklichkeiten so grundlegend verschieden sind?
Wir könnten uns abschotten, uns innerlich gegen das Unbekannte, Verunsichernde abgrenzen und davon distanzieren, versuchen, das was wir sehen irgendwie zu etikettieren, um dadurch in unserem kleinen Kosmos Stabilität und Sicherheit zu kreieren.
Oder wir können uns dazu entschließen, alle Versuche, etwas einzuordnen, zu bewerten und zu etikettieren, sein zu lassen. Können versuchen, unvoreingenommen und offen das wahrzunehmen, was wir wahrnehmen können, uns berühren zu lassen, anstatt uns abzugrenzen, anzuerkennen, dass wir nichts wissen und es uns deshalb auch nicht zusteht, zu urteilen und zu bewerten. Es ist an uns, uns immer wieder bewusst dafür zu entscheiden, in all dem Fremden und Unverständlichen offen zu sein für das, was uns jenseits von Gemeinsamkeiten miteinander verbindet, darauf zu vertrauen, dass es etwas universell Menschliches gibt, worin wir Sicherheit finden können, auch wenn unsere Lebensrealitäten so grundlegend verschieden sind. Dann können wir erleben, wie jenseits und angesichts aller Unterschiede ein Gefühl der Verbundenheit entsteht, auch wenn es sich vielleicht nur durch ein kurzes verstehendes Lächeln, einen wohlwollenden Blick, einen anerkennenden Satz über unsere hübschen blonden vermeintlichen Töchter ausdrückt…
Unsere Eindrücke der ländlichen Gegenden stehen in krassem Kontrast dazu, wie wir Potosi, die auf über 4000 m einst höchstgelegene Großstadt der Welt erleben. Potosis ehemaliger Reichtum lag in der Erde – die Berge im kilometerweiten Umkreis sind durchzogen von unzähligen Minen, in denen bis heute Silber, Kupfer und vor allem Zinn abgebaut wird. Riesige Abraumhalden, qualmende Schlote und gewaltige Schlackebecken verleihen der Hochebene ein ausgezehrtes Gesicht. Auch wenn die größten Bodenschätze schon längst geborgen sind und der Reichtum vergangener Zeiten Geschichte ist, steht die Stadt noch immer ganz im Zeichen des Bergbaus. Zahllose LKW drängen sich auf ihrem Weg von oder zu den Minen zwischen den wie an die Hänge angeklebt wirkenden Häusern durch die engen steilen Straßen, konkurrieren mit Taxis, Kleinbussen, Menschen, streunenden Hunden und uns um den wenigen Platz. Am Straßenrand reihen sich kleine Läden und Autowerkstätten, Essensverkäufer und Ersatzteillager aneinander. Die Stadt wirkt kompromisslos und abweisend auf uns, das Leben hier hart und auszehrend. Wir atmen auf, als wir unseren Weg hindurch gefunden haben.
Sucre, die weiße Stadt, die Hauptstadt Boliviens hingegen macht es uns mit ihrem quirligen, vielfältigen, von den Studenten der vier Universitäten geprägten Stadtleben leicht. Wie Bamberg ist Sucre auf 7 Hügeln gebaut, 7 sehr steilen Hügeln, die für einige Tage zu unserem täglichen Höhen- und Konditionstrainigsort werden. Die strahlend weißen Bauten der Kolonialzeit, umgeben von langen Straßenzügen kleiner, ebenso weiß strahlender Häuschen, die zentrale Plaza, das von Einheimischen und Touristen, Jungen und Alten zu jeder Tageszeit belebte Herz der Altstadt, die unterschiedlichsten Läden, Essensstände und der große überdachte Lebensmittelmarkt – all das ergibt ein unwiderstehlich vielfältiges, lebendiges Bild.
Zudem beginnt bald der Karneval – überall sind die Vorbereitungen sicht- und hörbar. Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht einer Musikkapelle begegnen, die mit Pauken und Trompeten durch die Straßen zieht, Gruppen von Männern und Frauen, die tanzend den Verkehr lahmlegen und Kinder, die voller Begeisterung und Übermut Passanten mit Wasserbomben und Schaumspray attackieren. Es ist eine ansteckend lebensfrohe Atmosphäre, die uns schnell in ihren Bann zieht. Hier wollen wir ein paar Tage verbringen und endlich unsere Spanischkenntnisse auf sicherere Füße stellen. Wir mieten ein kleines Haus und finden mit Silvia eine phantastische Lehrerin, der es mühelos gelingt, sowohl für Hannes und Mattis, als auch für Jan und mich parallel einen lehrreichen, intensiven und zugleich kurzweiligen Unterricht zu gestalten. Fünf Tage lang verbringen wir je zwei Stunden mit ihr, machen Hausaufgaben, konjugieren unregelmäßige Verben und haben einfach Spaß an der Herausforderung ohne Leistungsdruck. In der übrigen Zeit bestaunen wir Kirchenschätze im Museo de la Cathedral, sind fasziniert von der andinen indigenen Webkunst im Museo del Arte Indigena, wählen aus dem reichen Angebot des Mercado Central, kochen endlich wieder einmal mit mehr als zwei Töpfen und sehr lecker, lassen uns berühren auf dem Cementario municipal mit seinen ganz besonderen Grabstätten, bewundern im Schatzmuseum Gold, Silber und den nur in Bolivien vorkommenden Edelstein Bolivianita oder sitzen einfach Eis essend, schauend, staunend und genießend auf einer der vielen Bänke zwischen Kathedrale und Casa de la Libertad.
Nach einer Woche verlassen wir Sucre, um viele schöne Eindrücke und eine Menge neuer Spanischvokabeln reicher.
Wir wollen nach Uyuni – genauer: auf den Salar de Uyuni, die größte Salzpfanne der Welt.
Also durchqueren wir noch einmal Potosi, überwinden drei über viertausend Meter hohe Pässe, freuen uns über die vielen Lamas am Wegesrand und erreichen inmitten einer großen, staubigen Ebene den Ort Uyuni. Hier finden wir einen skurrilen, aber sehr fotogenen Stellplatz am Rande des Eisenbahnfriedhofs. Mehr als hundert ausrangierte Lokomotiven und Waggons, die früher Salz und Erze abtransportierten, rosten hier friedlich und vielbesucht vor sich hin, dienen als Klettergeräte, Versteck, Graffititräger und malerisch-morbide Fotokulisse.
Und dann ist es endlich soweit: wir fahren zum Salar de Uyuni, einer bis zu 11m dicken und über 10500 Quadratkilometer großen Salzwüste.
Das Erlebnis auf dem Salar zu fahren, darin umherzugehen, die Nacht darauf zu verbringen, ist so weit entfernt von all unseren bisherigen Erlebnissen, dass es sich nur schwer in Worte fassen lässt.
Schon nach wenigen Kilometern haben wir die vielen Jeeps mit den Touristen der organisierten Salartouren hinter uns gelassen. Wir sind wir alleine, alleine mitten im Weiß.
Strahlendes, funkelndes, blendendes Weiß so weit wir schauen können. Endlos erstreckt es sich unter dem leuchtend hellblauen Himmel. Einzelne weiße Wolken, zwei kleine Inseln, die sich in der Ferne dunkel über das Weiß erheben, am Horizont ein paar Berge in Grau- und Blautönen, unter unseren Füßen die glitzernden Salzkristalle, zu unregelmäßigen Hexagonen angeordnet – und sonst nichts.
Es ist eine Landschaft zum Staunen, zum tief Einatmen, zum Wundern, zum Nicht-fassen-können. Unwirklich, phantastisch und unvorstellbar schön.
Die endlosen weißen Flächen lösen jedes Gefühl für Perspektive auf. Es ist unmöglich einzuschätzen, wie weit es noch bis zur Insel ist, wie weit entfernt ein am Horizont erscheinender Jeep tatsächlich ist, die Berge am Horizont scheinen samt ihrer Spiegelung über der Ebene zu schweben. Wir steigen aus, gehen staunend über das Salz und ertappen uns dabei, wie wir immer wieder von Eis sprechen – zu sehr scheint die Wahrnehmung einer glatten weißen Fläche in uns mit Eis und Schnee verknüpft zu sein. Auch Joschi hält das Salz scheinbar für Schnee – wirft sich begeistert auf den Boden, will sich wälzen und scheint erstaunt darüber, wie hart und spitz dieser Schnee ist…
Wir machen Fotos, spielen mit der aufgelösten Perspektiv, haben plötzlich Bärenkräfte, scheinen riesengroß zu sein, lassen den Bus ganz klein und handlich werden… Und fahren wieder weiter, weiter und weiter in das endlose Weiß, vorbei an der kleinen, von Kakteen bewachsenen Insel weiter Richtung Horizont. Es gibt keine Straßen, erkennbar sind nur die Fahrspuren der anderen, keine abgegrenzten Bereiche, keine Einschränkungen oder vorgegebenen Halteplätze. Für unseren Stellplatz für die Nacht können wir uns ein paar Quadratmeter aus 10000 Quadratkilometern aussuchen. Ein verrücktes, irreales Gefühl. Und nach vielen Kilometern geradeaus fahren wir dann einfach eine Kurve und bleiben stehen. Mittendrin.
Als der Himmel sich rosa färbt, essen wir inmitten des Salzes zu Abend und kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Das Salz leuchtet im Widerschein des Abendhimmels, die winzigen, die Sechsecke begrenzenden Salzdämme werfen kleine Schatten, die Berge am Horizont scheinen duchsichtig zu werden, unsere Schatten sind endlos lang und wir wissen nicht, ob wir staunend stillstehen und bewundern, oder vor lauter Freude und Glück weit hinaus rennen, springen und jubeln sollen.
Als es ganz dunkel geworden ist, stehen wir schweigend in vollkommener Stille unter der Himmelskuppel, Millionen von Sternen scheinen auf uns herab, und plötzlich scheint der Gedanke ganz real, die einzigen Menschen auf der eben erst erschaffenen Erde zu sein.
Es beginnt gerade zu dämmern und ist noch kalt, als wir am nächsten Morgen aufstehen, der Himmel über uns ist noch dunkel, doch das Salz reflektiert das erste, am Horizont aufscheinende Morgenlicht. Der gesamte, endlose Salar erstrahlt in Hellblauweiß, als wäre er aus der Tiefe beleuchtet. Ein unbeschreibliches Licht und wohl einer der wundervollsten Orte für einen Kaffee in vollkommener Stille.
Die steigende Sonne verwandelt den eben noch zart leuchtenden Salar innerhalb von Minuten in weiß blendende Endlosigkeit. Wir verabschieden uns von unserem Platz, fahren los und schon wenige Kilometer später können wir rückblickend nicht mehr sagen, wo genau wir die Nacht verbracht haben.
Wir fahren kilometerweit ohne einem einzigen anderen Auto zu begegnen. Viel Platz, keine Hindernisse, eine ebene Piste – der perfekte Ort für erste Fahrversuche… Und so übernehmen Luis, Hannes und Mattis für ein paar Kilometer das Steuer und chauffieren uns durch das glitzernde Salz.
Kurz bevor wir den Ausgang erreicht haben, fahren wir nochmals eine Kurve, folgen ein paar wenigen Reifenspuren in der Hoffnung, ein anderes faszinierendes Phänomen des Salar erleben zu können. Und wir haben Glück – ganz plötzlich tut sich unter uns der Himmel auf, fahren wir wie auf einer gigantischen Glasscheibe über die Wolken hinweg, verwischen die Grenzen zwischen Himmel und Erde, oben und unten. Eine dünne Wasserschicht hat den Salar in einen riesigen Spiegel verwandelt.
Mit hochgekrempelten Hosen und in Flipflops waten wir durch das salzige Wasser, spielen mit den Spiegelungen, sind glücklich, diese Stelle gefunden zu haben.
Zurück im Bus bleiben uns unzählige Glücksmomente, hunderte Fotos, weiße Krusten an den Füßen und eine große Tüte Salz, von Mattis abgebaut, als Erinnerung.
Und nun stehen wir seit über einer Stunde in der Warteschlange. Warten darauf, dass in einer der vielen Autowäschereien der Bus von den dicken Salzkrusten, die ihn überziehen befreit wird. Wir sind darauf eingestellt, den Tag wartend im Bus zu verbringen, lesen, zeichnen, schreiben, verschicken Bilder….
Anschließend nämlich werden wir uns in die nächste Warteschlange einreihen. Vor jeder Tankstelle hier im Ort bilden sich täglich hunderte Meter lange Warteschlangen. Mal gibt es nur Diesel, mal gar keinen Treibstoff, schon Stunden bevor der Tanklaster kommt, stellen sich die ersten Menschen geduldig vor der noch geschlossenen Tankstelle an, um dann möglichst bald bedient zu werden.
Es ist zeitaufwändig und mühsam, hier all das zu bekommen, was wir möchten und brauchen. Später werden wir noch einkaufen, auf dem Markt und in den vielen kleinen Läden, müssen schauen, wo wir was bekommen können. Supermärkte wie wir sie kennen gibt es hier nicht und oftmals ist das, was angeschrieben steht, dennoch nicht vorhanden.
Bolivien lehrt uns Geduld, Gleichmut und Gelassenheit – für die Menschen hier eine tägliche Notwendigkeit, für uns vielleicht ein Zugewinn?
Sobald wir Diesel, Bolivianos, Wasser und Lebensmittel für mehrere Tage beisammen haben, werden wir Uyuni verlassen, werden Richtung Süden fahren, auf die legendäre Lagunenroute. Dort erwarten uns viele Kilometer holperige Pisten, Höhen bis zu 5000m, farbig leuchtende Lagunen, heiße Quellen und all das, was wir uns jetzt noch überhaupt nicht vorstellen können….
Zunächst aber üben wir uns weiter in Geduld und Gelassenheit. Zwei Tage später sind wir nämlich noch immer hier.
Diesel und Lebensmittel konnten wir erstehen – Geld an einem Bankautomaten zu bekommen war unmöglich. Alle Automaten sind leer. Und zu allem Überfluss ist einer der Aussenspiegel, von den vielen Rüttelpisten erschöpft, abgebrochen. Nun brauchen wir also jemanden, der das Gestänge schweißen kann.
Doch es ist Karneval und damit alles ein wenig anders.
Es ist Faschingsdienstag als wir uns auf die Suche nach einer Werkstatt machen. Schon seit dem frühen Morgen hören wir Böllergeknatter und sehen, als wir in die Innenstadt kommen, viele Menschen mit großen Blumensträußen in den Armen und vor den Häusern Schalen mit glühenden Kohlen, in die die Bewohner Schnaps und andere Opfergaben schütten.
Unsere Suche nach einem Mechaniker bleibt erfolglos, alle Werkstätten sind geschlossen, die Banken ebenso und die Bankautomaten sind weiterhin leer.
Die freundliche Verkäuferin im Alpakawolleladen, der den Touristen zuliebe trotz des Feiertags geöffnet hat, erklärt uns schließlich, was es damit auf sich hat. Heute, am letzten Tag vor Beginn der Fastenzeit und damit der Vorbereitung auf die Semana Santa, wird in einer unkomlizierten Vermischung chistlicher und indigener Rituale, Pachamama, Mutter Erde gedankt und geopfert. Die Opfergaben in den kleinen Kohlefeuern, die Böllerschüsse und die Blumen, die wir überall sehen, gelten ihr, drücken Dank aus und sollen sie gnädig und großzügig stimmen.
Morgen jedoch, so sagt sie, gehe alles wieder seinen normalen Gang.
Und so verbringen wir einen weiteren Tag neben dem Eisenbahnfriedhof. Draussen regnet es, im Bus ist es gemütlich.
Morgen also starten wir einen neuen Versuch – und lassen uns überraschen, wie weit wir kommen.
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