Schrauben bringen Glück



Mir schwirrt der Kopf. So viele Wörter, so viel spanisch, mit so viel Vehemenz gesprochen und dann auch noch aus zwei Richtungen gleichzeitig. Ich stehe in der offenen Bustüre und versuche irgendwann gar nicht mehr, zu verstehen, sondern beschränke mich darauf, freundlich und ein wenig hilflos und überfordert zu lächeln.

Der Automechaniker preist Jan gegenüber wortreich und nachdrücklich die Führungsstärke und Kompetenz Angela Merkels, während die alte Dame mit den sehr langen, sehr dunkelroten Fingernägeln aus dem Fenster ihres kleinen Autos heraus von den Vorzügen und der Schönheit Montevideos schwärmt.

Aber der Reihe nach: wir haben die Atlantikküste verlassen und sind auf dem Weg nach Westen, um in einigen Tagen die Grenze zu Argentinien zu passieren, als Jan bei einer kurzen Pause eine Schraube im Hinterrad entdeckt. Der Reifen verliert Luft, wir brauchen eine Werkstatt. Und wir haben Glück: nach vielen, mühseligen Kilometern auf holperiger Sandpiste durch menschenleere Landstriche, sind es von hier aus nur noch wenige Kilometer bis Blanquillo und eine Werkstatt haben wir bisher noch in jedem Ort gesehen. Auch hier gibt es eine und nachdem wir unseren spanischen Wortschatz um “Schraube” (tornillo) und “der Reifen verliert Luft” (el neumático pierde aire) erweitert haben, kommen wir vor der offenen Werkstatt neben Stapeln aus alten Reifen, Werkzeug und einem aufgebockten Auto zum stehen.

Sofort ist der Mechaniker zur Stelle und will uns zunächst wortreich den Weg zur Werkstatt im nächsten Ort erklären, bis wir ihm verständlich machen können, dass wir durchaus gerne ein wenig warten und er wegen uns nicht seine begonnene Arbeit unterbrechen muss. Also verständigen wir uns darauf, dass wir in ungefähr einer Stunde wiederkommen und überlassen ihm den Bus mit Schraube und plattem Reifen.

Wir machen uns mit Joschi auf den Weg in den kleinen Ort und schon nach wenigen Metern freue ich mich fast über den Platten, meine Entdeckungslust erwacht und ich bin neugierig zu sehen, wo uns die Schraube hingeführt hat.

In vielen Orten haben wir im Vorüberfahren Freiluft- Trainingsgeräte auf den Dorfplätzen gesehen, jetzt endlich können wir sie ausprobieren, in unmittelbarer Nachbarschaft zu drei gemütlich grasenden Pferden.

Im Weitergehen entdecken wir, dass Blanquillo in vergangenen Zeiten an ein Eisenbahnnetz angeschlossen war. Das Bahnhofsgebäude ist mittlerweile ein Wohnhaus geworden, im angrenzenden Garten leuchten die Orangen an den Bäumen und picken die Hühner, ein kleines Kälbchen leckt neugierig durch den Zaun an Mattis Schuhen. Die Signalanlage erinnert verrostet an alte Zeiten und im saftig grün bewachsenen Gleisbett weiden die omnipräsenten Kühe und Pferde. Das ganze Areal strahlt eine Ruhe und Beschaulichkeit aus, die mir gefällt und mich anspricht und ich freue mich über diese Entdeckung. Der ganze Ort ist weitläufig und großzügig angelegt, immer wieder finden sich freie Flächen zwischen den kleinen Häusern, Wiesen mit grasenden Pferden oder auch mit Bäumen und Bänken, einem Spielplatz und Tischen, die mit eingelassenen Schachbrettern zum spielen einladen.

In der zentralen Straße ein wenig oberhalb des Bahnhofs finden wir eine Bäckerei und ein Stück weiter eine Fruteria und Verduleria. Wir kaufen das übliche Baguette, stocken unseren Vorrat an Obst und Gemüse auf und erstehen sogar noch einen halben Laib hausgemachten Käse, den wir selbstverständlich vorher probieren dürfen. Die freundlichen Verkäufer packen all unsere Einkäufe in einen großen Sack und so machen wir uns mit Sack und Pack auf den Weg zurück zur Werkstatt.

Der Mechaniker ist noch mit unserem Reifen zugange, wir haben also genug Zeit, es uns mit Brot und Käse an einem der Schachbretttische gemütlich zu machen. Jugendliche umrunden währenddessen auf ihren laut knatternden Mofas den Dorfplatz, die Schüler*innen der Escuela secundaria haben Schulschluss und gehen in kleinen Gruppen zu Fuß nach Hause während ihre Lehrerin mit Mappe unterm Arm an uns vorüberradelt.

Während wir hier sind, passiert nicht viel in Blanquillo und doch gibt es für uns viel zu sehen und ich denke, dass es so gut wäre, öfter einmal genau dort anzuhalten, wo wir normalerweise einfach vorüber fahren würden.

Denn nur dann können wir die Atmosphäre eines Ortes spüren, nur dann sehen wir ein klitzekleines bisschen davon, wie die Menschen hier leben und nur dann haben wir die Chance auf die bereichernden und beglückenden Begegnungen wie die mit unserem Mechaniker. Er hat seine Arbeit tadellos erledigt, den Reifen geflickt und wieder montiert – sein Geschenk an uns darüber hinaus ist aber seine Freundlichkeit, sein ehrliches Bemühen, uns ganz genau zu erklären, wie wir die nächsten Kilometer fahren sollen, wann und wie genau Jan die Reifenschrauben nachziehen soll, welcher Weg der schönste zu unserem nächsten Ziel ist, ja, er ruft dort, in San Gregorio de Polanca, sogar an, und erkundigt sich, ob die Fähre, mit der wir dort übersetzen wollen, auch wirklich fährt und er schwärmt, wie gesagt, von unserem Land, von Angela Merkel, von all dem, was dort in seinen Augen so gut ist. Irgendwann, als die alte Dame mit dem kleinen Auto und den eleganten Fingernägeln schließlich ungeduldig nachfragt, wann sie denn an die Reihe käme, er Jan noch ein Bild seiner Enkelin gezeigt und uns die Schönheit und Vielfalt seines Herkunftslandes Argentinien ans Herz gelegt hat, beendet er seinen Redefluss. Nur kurz kommt er nochmal ins Fließen, als er uns mit vielen guten, zu Herzen gehenden Wünschen verabschiedet: möge es euch gut gehen, möget ihr eine sichere Reise haben, möget ihr viel erleben, es genießen und am Ende des Jahres wieder gut in Deutschland ankommen.

Welch ein Glück, dass diese Schraube auf unserem Weg lag!

Und weil es so gut passt, teile ich hier mit Euch ein Gedicht von Rose Ausländer, das mir ein lieber Mensch zum Abschied geschickt hat:

“Die Menschen
immer sind es die Menschen.
Du weißt es.
Ihr Herz
ist ein kleiner Stern,
der die Erde
beleuchtet.“


Kommentare

4 Antworten zu „Schrauben bringen Glück“

  1. Avatar von Lydia und Dieter Hinz
    Lydia und Dieter Hinz

    Liebe Fam.Fahr. Danke für Ihre interessanten Berichte.In Gedanken sind wir oft mit bei Ihnen. Weiterhin eine gute u.glückliche Reise! Wir grüßen Sie alle sehr herzlich, Ihre Nachbarn Lydia U Dieter Hinz

    1. Avatar von Anni
      Anni

      Liebe Familie Hinz, liebe Nachbarn, wir freuen uns, dass Sie uns in Gedanken ein wenig begleiten. Wir hoffen, es geht Ihnen gut! Herzliche Grüße von allen 5 Fahrs und Joschi

  2. Avatar von Guenter Erwin Haagen
    Guenter Erwin Haagen

    Gute Reise wünscht der Onkel aus dem Schwarzwald

    1. Avatar von Jan

      Vielen Dank und herzlich willkommen 🙂

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